Das iPad: Das Ende der Oldtimer

der: Fortschritt besteht nicht in der Verbesserung dessen, was war, sondern in der Ausrichtung auf das, was sein wird (Khalil Gibran, Sämtliche Werke)

Das iPad ist da!

Wenn man sich die Reaktionen auf das iPad im Web anschaut, kann man eine bunten Strauss an Meinungen und Empfindungen erleben: Vom ,iTampon‘ ist da die Rede, vom ,aufgeblasenen iPhone‘ oder vom ,Computer für die Frauen‘ (hab ich ernsthaft im Radio gehört!).

Vor allem fühlt man aber eines: Verunsicherung.

Da gibt es jetzt jetzt ein Gerät, welches wir mangels Erfahrung mit dem Vergleichen, was wir schon kennen. Mit dem klassischen Notebook und mit dem iPhone. Und doch fühlen wir irgendwie, dass es keins von beidem ist – für ein iPhone bietet der große Bildschirm zu viele Möglichkeiten und für ein Notebook ist es ,zu wenig Computer‘.

Was ist das iPad?

Der iPad ist, um eine Analogie zu gebrauchen, ein vollverkleidetes Auto in Zeiten, wo noch Motoren auf Holzrahmen gespannt wurden und mit Holzrädern durch die Gegend fuhren.

Der Fahrer eines solchen Vehikels musste alles machen, alles können und über viel Spezialwissen verfügen. Autofahren war eben was für echte Kerle! Erweiterungen und Tuningmaßnahmen (nein, kein Spoiler, sondern ein besserer Vergaser z.B.) mussten von Hand eingebaut werden. Nach dem Einbauen musste der Motor entsprechend der neuen Möglichkeiten Eingestellt und getestet werden und wenn er dann lief, dann war einem der Respekt der anderen Automobilbesitzer gewiss. Der Motor lag frei – wie sollten die ganzen Bewunderer denn sonst sehen, was das Fahrzeug seiner Konkurrenz voraus hatte?

Hätte man einen Besitzer einer solchen Höllenmaschine gefragt, was die nächste Generation von Automobil können sollte, so hätte er sicher gesagt: Stärker muss er sein, schneller und mehr Chrom. WAHOOOUUUUUU!!!

Doch irgendwann war es vorbei. Die Autohersteller hatten erkannt, dass wenn sie mehr Fahrzeuge verkaufen wollten, andere Märkte erschlossen werden mussten. Es gab so viele potentielle Kunden: Senioren, die spazieren Fahren wollten, Frauen, die zum Einkaufen und zum Shopping fahren wollten, Firmen, die zuverlässige Arbeitstiere brauchten; Und und und…

Das Auto, welchen zukünftige Bedürfnisse befriedigen sollte, musst sich nach den Menschen richten, nicht die Menschen nach den Automobilen. Und so wurden die Fahrzeuge mit schicker Optik verkleidet, so dass man den Motor nicht mehr sah, sie wurden Einfacher in der Handhabung und preiswerter. Ein moderner Autofahrer muss nicht mehr wissen, wie ein Motor funktioniert, was eine .DLL von einer .EXE oder einer .PDF unterscheidet… UPS! Ein Vertipper, ich bitte um Verzeihung.

Aber genau das ist ein iPad!

Es geht *nicht* um Gigahertz, um RAM-Größe, um Auflösung und Schnittstellen! Es geht darum, ob wir weiterhin Oldtimer fahren wollen oder moderne Fahrzeuge!!!

Gehen wir hinaus auf den Marktplatz und fragen 10 Menschen, was ein USB-Port ist -vielleicht wissen es 3. Fragen wir nach der Ram-Größe in Ihren PCs zu Hause, vielleicht weiss es noch Einer oder Zwei. Fragen wir nach SSD-Festplatten müssen wir schon Glück haben!

Aber was ist mit den anderen Menschen – Mit der überwiegenden Mehrheit?

Die Ärgern sich tagaus tagein mit Ihrem PC daheim oder im Büro, der Sie – die selben Nutzer, die nicht wissen, was ein USB-Port ist! – allen Ernstes fragt, ob ihr Virenscanner die Datei WINLOGON.DLL im SYSTEM32-Verzeichnis löschen, oder nur in Quarantaine verschieben soll!!!

Aber Hey, wir sind Macianer, da ist alles Besser. Ist das so? Wenn ich mir die ganzen Terminal-Hacks zur Aktivierung dieser oder jener Funktion anschaue, oder die Kompatibilitätsmeldung, wenn ich ein Office-Dokument konvertiere oder sichere, dann bin ich nicht so sicher. (Warum läuft CoolIris nur mit der 32-Bit-Version von Safari und nicht mit der 64-Bit – Und wo ist gottverdammt der Unterschied?)

Sicher, wir sehen Systemverzeichnisse nicht, wir müssen nicht mehr so genau wissen, wo wir Dateien ablegen, Spotlight sei Dank) und auch iTunes oder iPhoto übernehmen die ,Arbeit am Motor‘ für uns.

Ich denke, Apple geht den Weg jetzt mit dem iPad weiter in die Zukunft. MAC OS X ist, so wundervoll es ist, ein Art-Deco-Oldtimer. Er sieht wundervoll aus und ist auch toll zu bedienen, aber ein modernes OS ist es lange nicht!

Wenn ich mir den Desktop meines MAC-II CI von 1989 anschaue, so ist der Unterschied zu Heute zwar erkennbar, aber nicht so riesig, wie man gerne meint. Alle wesentlichen Elemente eines Datei-Orientierten OS sind unverkennbar gleich. Ordner, Dateien, etc…

Vergleiche ich dagegen Einen Rechner wie den CI, ein MacBook oder eine Windows-Maschine mit dem iPad, dann stimmt nichts mehr. Keine Verwandschaft, keine Menüs, keine Dateien, kein Abfalleimer – nichts…

Was macht einen moderner Computer aus?

Nun die Zeit der modernen Computer beginnt für mich im Jahr 2007, mit der Vorstellung des iPhone und seines OS. Schauen wir uns dieses OS mal etwas genauer an, dann sehen wir viele Gesetze, die neu aufgestellt wurden und alte Gewohnheiten über Bord werfen.

1. Es gibt kein Dateisystem.
Es gibt keine Dateien Mehr. Keine Ordner, keine langen Pfade, keine Dateinamenerweiterungen, nichts. Nur noch Briefe, Kalkulationen, Mindmaps, Lieder, Bücher, Fotos und so weiter und so fort. Ich muss nicht mehr wissen, wo die Daten liegen und wie sie dort hin gelangen. Zum Suchen reichen mir Schlagworte (Spotlight) und die Organisation übernimmt die Applikation, die mit dem Dokument arbeitet. It‘s just that simple. 
Sicher werde ich Dokumente immer drucken, via Email versenden und Sichern können, aber das erledigen Applikationen für uns, nicht mehr wir. Und Applikationen werden Hand in Hand arbeiten, So wie ich jetzt schon in garageband meine iTunes-Lieder einbinden kann und das Ergebnis an iDVD weiterleite.

2. Es gibt keine Programme.
Es gibt Applikationen. Und Apps sind viel mehr. Eine App beinhaltet auch die Daten und die Möglichkeit, diese zu Organisieren, zu Bearbeiten und zu Verwalten. Ein Programm ist ein Zusätzliche Knopf auf meinem Startbildschirm, nicht mehr und nicht weniger.
Objekte werden direkt manipuliert.
Beim iPad fass ich alles an. Bilder drehe ich mit den Fingern, ich schiebe Webseiten hin und her, Tappe darauf herum oder schnippe alte Kontakte locker nach rechts weg. Keine Menüs mehr für die alltäglichen Aufgaben. Und wenn Menüs, dann nur da, wo es unbedingt sein muss und auch nur so viele Menüs, wie ich im Moment benötige.

3. Multitasking nur dort, wo es Sinn macht.
Mein Gott, dieses Multitasking – Die heilige Kuh der Computerei. Wir Menschen können sehr schlecht verschiedene Dinge gleichzeitig tun. Könnten wir es, wäre Telefonieren beim Autofahren wohl nicht verboten. Trotzdem möchten wir ganz offensichtlich einen Text erstellen WÄHREND wir einen Podcast aufsprechen UND ein Urlaubsvideo schneiden. Hmm. Ist ja Quatsch, werden jetzt alle sagen. Ich will ja nur eine DVD rippen während ich nebenbei Musik höre und ein bisschen Surfe.
Nun, das erste Beispiel ist Quatsch, ich gebs zu. Aber es verdeutlicht, dass wir nicht IMMER und ALLES gleichzeitig machen wollen, sondern nur manche Dinge, bei denen es Sinn ergibt.
Und genau das wird bald möglich sein. Sicher macht es Sinn, dass die Musik weiterläuft, während ich surfe, das geht ja auch jetzt schon. Es wird also genau geschaut werden müssen, ob es Sinn ergibt, gewisse Funktionen parallel laufen zu lassen. Und diese werden dann auch parallel laufen.

4. Es gibt keine Fenster.
Fokus. Das ist DAS Zauberwort in der Productivity! Fokussiere Dich auf eine Sache. Das ist das Mantra für den Erfolg. Und in der Computerei macht es absolut Sinn. Habe ich kein Multitasking im klassischen Sinn (siehe Punkt 4), dann brauche ich auch keine Fenster mehr. Es gibt Popup-Meldungen, und das reicht. Mehr braucht man nicht.

5. Sei Mobil.
Das A und O. Ein moderner Computer wird mich überall hin begleiten. ich bin überall on und habe alle meine Dokumente immer bei mir. Was nützt mir das schönste Video, wenn es auf meinem Desktop-PC im Büro liegt, was die Urlaubsbilder auf meinem Media-Center zu Hause? Ich brauche ein Gerät, mit dem ich einfach und überall diese Inhalte entweder via Netzwerk aufrufen kann oder sie gleich mit dabei habe. Mobilität heisst aber auch klein und ausdauernd. Der Akku muss einen ganzen Tag halten und das Gerät muss locker zu tragen sein. Ich darf unterwegs nicht auf eine Steckdose, einen Bildschirm oder eine Tastatur angewiesen sein.

Was ist der Fortschritt und was kostet er?

Nun, genau so wie meine Großmutter von der guten alten Zeit schwärmt, so werden wir auch schwärmen von der Zeit als Computer noch frei waren, als man jede Software installieren konnte, die man wollte und als Computer noch Männersache waren.
Und genau so wie bei meiner Großmutter werden meine Kinder die Augen verdrehen und mich an die Wurmattacken im Internet und an Amoklaufende Flash-PlugIns erinnern.

Moderne Computer werden uns einiges abverlangen.
Es wird eine Art Software-TÜV geben (heute der App-Store und die Genehmigungsrichtlinien). Das wird unumgänglich sein. Als um 1910 in jeder großen Stadt nur 100 Autos fuhren, hielten sich Unfälle durch abenteuerliche Selbstbauten in Grenzen. Aber moderne Städte sind voll von Autos. Wir sind froh, dass es einen TÜV gibt, der dafür sorgt, dass die Bremsen des LKW vor uns auf der Autobahn funktionieren und dass unsere geliebte Beifahrerin nicht durch ein rostiges Loch im Boden verschwinden.
Und genau so werden Fachleute dafür sogen müssen, dass Apps nicht unerlaubt unsere Kontodaten abrufen oder unsere Adresskartei kopieren.
Wenn wir wollen, dass der Computer ein Computer für Alle wird, dann muss so etwas wie eine grundlegende Verkehrssicherheit der Programme gewährleistet sein.
Wie auch immer dieser TÜV für Apps aussehen wird und ob man Apple allein die Macht darüber lassen kann, sei dahin gestellt. Aber wir brauchen eine solche Einrichtung.

Was Machen die Profis?
Nun, genau so wie Die Müllabfuhr oder die Busbetriebe nicht mit Opel Asconas durch die Gegend fahren, sondern auf Spezialfahrzeugen, so wird es auch weiterhin Platz für diese Spezialrechner geben, um solche Arbeiten zu erledigen. So wie es heute schon Server gibt. Nur für die Masse sind diese Rechner nichts.

Wann ist es denn soweit?
Nun, die Moderne Zeit der Computerei hat gerade begonnen. Das iPhone hat den ersten Schritt gemacht. Und Apple hat den Mut, sich an einem großen Rechner moderner Bauart zu versuchen. Dafür alleine gebührt Apple eine Menge Respekt und Anerkennung. Sie werden Fehler machen. Sicher. Aber sie gehen den richtigen Weg nach vorn. Und wenn wir, irgendwann in 3-5 Jahren in der Lage sein werden, auf einem iPad eine iPad-App zu entwickeln, dann sind wir angekommen in der Moderne der Computerei.

Dann werden für Oldtimer noch Liebhaberpreise bezahlt

Mark Allelein (2010)

5 Antworten to “Das iPad: Das Ende der Oldtimer”

  1. JobInterviewQ&A Says:

    good stuff….wish my german was better…lol

  2. Tritom Says:

    Super Artikel. Mal wieder seit langem ein Stoff, der zum Nachdenken anregt. Danke.
    „Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen.“ – Mark Twain.

  3. Ricore Says:

    Schön, wenn einer die langweiligen, ausgetretenen Pfade der ewig gleichen Kommentare verlässt und den Leser dazu animiert sich etwas vorstellen zu wollen jenseits geistloser Analystenprognosen 🙂

  4. Dennis Irmscher Says:

    Schöner Artikel und ich teile deine Ansicht im Grunde voll und ganz. Computer, wie wir sie derzeit nutzen, schleppen noch viel zu viel Ballast mit sich rum, weil sie eben von Experten entwickelt wurden und ursprünglich gar nicht darauf aus waren, die Massen zu bedienen. Als das dann soweit war, lag die grundlegende Struktur aber nun mal fest und hat sich seit dem auch kaum verändert. Wer einen Computer nutzen wollte, musste sich halt nach ihm richten. Viele von uns sind mit Computern groß geworden, für uns ist der Datei- und Einstellungswust normal. Ich habe allerdings seit geraumer Zeit schon keine Lust mehr darauf. Das Ding soll funktionieren und möglichst simpel das tun, was ich von ihm will. Deshalb hab ich mir auch irgendwann einen Mac zugelegt, aber auch der ist noch weit davon entfernt ein Computer für Jedermann zu sein.
    Durch das Internet, welches nun mittlerweile fast überall verfügbar ist, rücken andere Ansätze aber in immer greifbarere Nähe. Apple hat mit dem iPhone und jetzt dem iPad sicher einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Noch kann das iPad leider keinen Computer ersetzen. Den brauchen wir leider immer noch als Zentrale, von der aus wir die Geräte, die wir eigentlich nutzen wollen, mit Daten beliefern. Mit MobileMe ist auch das schon wieder ein Stück weit unnötiger geworden. Was mir wirklich noch fehlt, wäre die iTunes- und iPhoto-Inhalte in die „Cloud“ zu verschieben, sodass alle Endgeräte, wie z.B. iPhone, iPad und AppleTV sich über das Internet synchronisieren.
    Der Grundstein ist gelegt. Der Rest ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.

  5. AutorIn Says:

    Mir ist Freiheit wichtiger als Bedienbarkeit. Und das iPad ist ein geschlossenes System, aber manche scheinen ja hier eine 1m² große Zelle zu bevorzugen, wenn nur die Wände hübsch angemalt sind.
    Ich will keinen „App-TÜV“, ich will keine Instanz, die mir vorschreibt, was ich wie auf meinem Rechner zu nutzen habe. Ich will Musik ohne DRM hören und ich will Beta-Versionen irgendwelche Open-Source-Programme ausprobieren. Und ich will meinen Rechner auf meine Bedürfnisse abstimmen können, wie ich will, und nicht wie es ein Unternehmen für richtig hält.
    Sicher, solche Rechner haben eine niedrige Schwelle und sich super für Leute, die bisher nichts mit Computern zu tun hatten. Aber ich bin nicht die Masse, ich bin in erster Linie ein Individuum und daher will ich auch meinen Rechner individuell nutzen können, auch wenn dann mal mit Bugs oder Bedienproblemen zu kämpfen habe. Freiheit hat eben manchmal auch ihren Preis.

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